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Gagliole, betroffenes Städtchen im „Erdbebenkrater“

Gagliole, betroffenes Städtchen im „Erdbebenkrater“

Noch bebt es weiter. Stündlich, halbstündlich, unregelmäßig aber kontinuierlich zittert und bebt die Erde, in den Marken und in Umbrien, nach den drei starken Erdbeben am 24. August, 26. Oktober und 30. Oktober, dem letzten, zerstörerischen Beben mit der Stärke 6,5 auf der Richterskala. Drei große Regionen sind betroffen, Marken, Umbrien, Latium, Städte und Dörfer mit tausendjährigen Kirchen und Klöstern, Industrieunternehmen, Bauernhöfen und touristischen Betrieben.

Zusammen mit über 20.000 Menschen sind nun auch wir obdachlos, Karin Mecozzi Bortolussi, gebürtige Meranerin, und mein Mann Giorgio, aus dem Friaul. Unsere neue Wahlheimat, die kleine Gemeinde Gagliole, befindet sich im „Erdbebenkrater“, also im engsten Umkreis der Epizentren. Der alte und der neue Teil des winzigen Städtchens wurden schwer getroffen, der gesamte antike Stadtkern wurde zur „Roten Zone“ erklärt und abgesperrt. Unser Haus steht neben der Pfarrkirche, es ist das ehemalige Pfarrhaus, und wir verdanken es den jahrhundertealten Fundamenten, dass die Gebäude standgehalten haben. Dieses ächzende, unterirdische Ungetüm ist den Einwohnern hier wohl bekannt. Nicht umsonst lebt in diesem Teil des Apennins, sowohl in den Marken als auch in Umbrien, noch eine sehr alte Form des Michaelkultes fort: der Erzengel wird in Grotten und Höhlen bedeutender Berge oder Höhen verehrt, mit einer Lanze hält er eine Art Lindwurm im Schach, der sich windet und immer wieder bewegt – il terremoto, das Beben der Erde in den Tiefen ihrer Eingeweide.

Wir waren erst vor kurzem „dazugezogen“, da mein Mann, Gärtner und biodynamischer Gemüsebauer, den Aufbau eines sozialen Demeter-Gemüseanbauprojektes in Macerata leitet. Als diplomierte Herboristin (Heilkräuterfachfrau) wollte ich gerade ein geeignetes Stück Land für den Kräuteranbau pachten, um ätherische Öle zu destillieren, neben meiner Tätigkeit als Referentin für wildwachsende Heilpflanzen und Landschaftskultur. Bis zum Beben waren wir damit beschäftigt, unser Häuschen im Zentrum von Gagliole zu sanieren, nun müssen wir warten, bis die Beben abklingen, um die tiefen Risse in den Mauern und im Dach auszubessern und, vor allem, das ganze Haus zu stabilisieren und zu sichern.

Mein Buch „Ars herbaria, Heilpflanzen im Jahreslauf“, ist im Jahr 2015 im Natura Verlag (im Verlag am Goetheanum) in Dornach erschienen und wurde von der Stiftung Buchkunst zu einem der 25 „Schönsten deutschen Bücher “ auserwählt, und gerade erschienen zwölf Stimmungsbilder zu den einzelnen Monaten im „Sternenkalender“ von Wolfgang Held. Es gehört zu meinem Beruf, die Natur phänomenologisch zu betrachten und zu beschreiben. Das „Erschaffen“ von Erzählungen über Orte und ihre Pflanzen, genauso wie von den verschiedensten Kräuterpräparate aus Wildpflanzen, aber auch detaillierte Pflanzen- und Landschaftsbetrachtungen und Artikel gehören seit fast zwanzig Jahren zu meinem Beruf. Leider weiß ich heute, dass ich gewisse Arbeitsprojekte in Gagliole, die über das Schreiben und Sammeln hinausgingen und mit verstärkter Seminararbeit und Lehrtätigkeit zu tun haben, völlig umstellen muss. Unser Zuhause ist nicht mehr bewohnbar. Das Nachbarhaus in unserer Straße droht einzustürzen, der gesamte Dorfkern ist gefährdet. Das kleine, neue Umweltzentrum, das ich als Seminarzentrum anbieten soll, die Josefskapelle mit den antiken Fresken, die mittelalterliche Festung in der Dorfmitte aus weißem Kalkstein, sie alle tragen Wunden, mittlere bis schwere Schäden, und es kann viele Monate dauern, bis sie saniert werden können.

Gagliole ist ein besonderer kleiner Ort, gerade im Wiederaufleben begriffen, dank neuer Projekte wie Stadtführungen, einem kleinen Kunstmuseum und einer Jugendherberge. Derzeit hat er knapp 650 Einwohner, mitten in einer fruchtbaren Landschaft, unweit von der Universitätsstadt Camerino, die heute auch sehr schwer beschädigt ist.

Wir sind im Moment ratlos: wie soll sich unsere kleine Gemeinde in den nächsten Monaten über Wasser halten? Der Winter steht vor der Tür, Notunterkünfte sollen beheizt werde, die Volksschule und der Kindergarten brauchen Unterstützung, Zufahrtstraßen zum beschädigten Städtchen müssen ausgebessert, das Altersheim muss erdbebensicher sein, und vieles mehr. 400 Einwohner, – darunter auch wir, müssen in vom Zivilschutz gestellten Unterkünften oder Mietwohnungen warten, bis die Sanierungsarbeiten überhaupt begonnen werden können.

Angesichts dieser schwierigen Zukunft, die wir trotz der Unsicherheit und der notwendigen Umstellungen meistern wollen, weil wir an unsere Arbeit in der goetheanistischen Heilpflanzen- und Landschaftskultur sowie in der biodynamischen Landwirtschaft glauben, möchte ich hier beherzt um Hilfe bitten. Wir wollen unsere Arbeit, zusammen mit unseren Freunden und Kollegen in den Marken und in Italien, trotz aller Schwierigkeiten, nach dem Ende der Beben wiederaufnehmen können. Wer uns konkret bei unserer Tätigkeit und vor allem bei der Gründung der geplanten Initiative für eine anthroposophische und ganzheitliche Heilpflanzen- und Landschaftskultur samt Heilpflanzenanbau und Wanderungen in der apenninischen Landschaft unterstützen möchte, kann auf unser Konto bei der Ethischen Bank in Italien spenden, bitte nehmt Kontakt mit mir auf (karin.mecozzi@aruba.it)

Die Gemeinde Gagliole hat ein Spendenkonto eingerichtet:
COMUNE DI GAGLIOLE
IBAN:
IT89C0503568950431570067311

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