Rosmarin – Rhops myrinus, der balsamhaltige Strauch

*Um uns einen Eindruck des Wesens einer Heil- und Gewürzpflanze zu verschaffen, ist es hilfreich, sie zunächst in ihrer natürlichen Umgebung zu betrachten. Wir möchten den Rosmarin (Salvia rosmarinus Schleid, ehemals Rosmarinus officinalis L.) kennenlernen und begeben uns auf eine Reise in den Süden, ans Mittelmeer, bis in das undurchdringliche Dickicht der mediterranen Macchia an den Küstenregionen. Dort erkämpfen sich immergrüne, ausdauernde Sträucher und kleine Bäume ihren Platz an der heißen Mittelmeersonne, versenken ihre Wurzeln in sandige, oft salzige Böden, trotzen Winterstürmen und langen Dürreperioden. Ginster, stachelige Wacholderbüsche, schneeweißblühende Myrtenbäumchen spenden kleineren Arten wie Stranddisteln, Meerfenchel, Immortelle, Heiligenkraut und Zistrosen etwas Schatten. Wo der Tau nachts den kargen Boden benetzt, trauen sich auch wilde Ringelblumen, Ferkelkraut, Natternkopf, Thymian und rosafarbene Winden ans Licht. Mitten in dieser etwas rauen, widerstandsfähigen Pflanzengemeinschaf wächst der Rosmarin. Er bringt den Typus der Lippenblütler (Lamiaceae) auf seine eigene Weise zum Ausdruck, nämlich als immergrüner, bis zu zwei Metern hoher Strauch. Er unterscheidet sich stark von den Mitgliedern seiner Familie, denn vom krautigen, frischen Grün (Gundermann, Basilikum), der zierlichen Form der Blätter (Melisse, Gamander) oder der Vorliebe für satte Ackerböden (bei vielen Minzenarten), ist beim Rosmarin nichts mehr zu sehen: von Grund auf verholzen Stamm und Äste, seine Blätter sind spitzig wie Nadeln, er gedeiht fast ohne Regen und im Alter sieht manches Rosmarinexemplar aus wie ein richtiger Baum.

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Auf Spaziergängen an der Mittelmeerküste, von Portugal über Italien und Griechenland bis in die Türkei, entdeckt man ihn wildwachsend: etwas verstaubt nach einem langen Sommer, mit silbernen Spinnweben in den sparrigen Ästen, eigentlich eher unscheinbar. Beim genaueren Hinsehen entdeckt man jedoch die Besonderheiten dieses Gewächses: seine kerzengeraden, belaubten Zweige, wie von tausend lanzettlichen Nadeln übersät, der aufrechte Wuchs in Richtung Sonne, in den lichtblauen Mittelmeerhimmel hinein. Mit Nadelbäumen hat der Rosmarin tatsächlich einige wertvolle Wirkstoffe gemeinsam, die auch in seinem aromatisch duftenden ätherischen Öl enthalten sind. Die Unterseite der Blätter ist weißlich grün und fein behaar, die Oberfläche mit einer wasserabweisenden Wachsschicht überzogen. Ätherisches Öl, Behaarung und Wachsschicht helfen, die Wasserverdunstung einzudämmen und Temperaturschwankungen leichter zu ertragen.

Im März und im September, also zweimal im Jahr, bilden sich himmelblaue bis rosarote Lippenblüten in den Blattachseln. Sie locken viele Bienen an, und der hellgelbe Rosmarinhonig, von leicht bitterem Geschmack, tut der Leber gut.

Das ätherische Rosmarinöl ist ein Vielstoffgemisch, das die immergrünen Blätter, Blüten und junge Zweige wie eine unsichtbare, duftende Hülle umgibt. Es gibt beim Rosmarin verschiedene Chemotypen, je nach Herkunftsland, die dem ätherischen Öl eine besondere Duftnote und Heilwirkung verleihen: Rosmarin Cineol, Rosmarin Borneon und Rosmarin Verbenon. Der Cineol-Typ wächst hauptsächlich in Marokko und Tunesien, der Borneon-Typ in Spanien und der Verbenon-Typ in Frankreich und auf Korsika vor.

Als „rhops myrinus“, balsamhaltiger Strauch, wurde er im alten Griechenland zum Räuchern am Totenbett verwendet, und bei den alten Römern hieß er „ros marinus“, Tau des Meeres. Geschichtlich gesehen gehört der Lippenblütler zu den ältesten heiligen Pflanzen. Lange bevor man ihn medizinisch verwendete, galt er als symbolische Pflanze und Mittel für Rituale, die mit Tod und Geburt, Hochzeit und Kultus zu tun hatten. In den verschiedensten Mythologien wird der Rosmarin mit dem Gedächtnis, dem Erinnerungsvermögen in Verbindung gesetzt: auf Darstellungen halten die Töchter der Mnemosyne, die Musen, einen Rosmarinzweig in der Hand, im alten Rom legte man den Verstorbenen ein Rosmarinsträusschen ins Grab, zum Zeichen ewiger Erinnerung. Interessant ist, dass Rosmarinextrakte nach neuesten Forschungen Freie Radikale hemmen und sich positiv auf Hirntätigkeit auswirken. Sie sollen vor Alzheimer schützen und Alterserscheinungen vorbeugen, unter anderem auch den Verlust des Kurzzeitgedächtnisses.

Das Erinnerungsvermögen, eine gute Konzentration und starke Nerven stehen für Vitalität, der Rosmarin galt bei den Ägyptern als Quelle unversiegbarer Lebenskraft. Bis ins Mittelalter sammelte und trocknete man ihn, um ansteckende Krankheiten fernzuhalten und verwendete die Zweige als immergrünen Weihnachtsschmuck. Das berühmte Ungarische Königswasser, „Aqua reginae Hungariae“, gab der gichtgeplagten ungarischen Königin Lebensfreude und Gesundheit zurück, und traditionelle Auszüge in Wein, Weingeist, Essig, Honigbier fehlten in keinem Haushalt.

Laut einer Überlieferung aus dem 16. Jahrhundert trieben in Toulouse vier Räuber ihr Unwesen in den Häusern reicher Pestkranker. Schießlich wurden sie auf frischer Tat ertappt und vor Gericht geschleppt. Um dem Henker zu entgehen, sollten sie das Geheimnis preisgeben, das sie vor der Ansteckung mit der schrecklichen Krankheit bewahrt hatte. So zählten sie die Zutaten des würzigen Essigtrankes auf, mit dem sie sich täglich eingerieben hatten, mit dem „Pestessig“ oder „Vierräuberessig“:

 Vinaigre des quatre voleurs – Vierräuber-Essig

Je einen Esslöffel folgender getrockneter Kräuter gut vermischen und gut mörsern: Blätter von Rosmarin, Salbei, Thymian, Lorbeer, ebenso viele Gewürznelken, eine Zimtstange, Kümmel- oder Fenchelfrüchte und Wacholderbeeren. Mit natürlichem Apfelessig übergießen und verschlossen an einem warmen, dunklen Ort ziehen lassen, öfters schütteln. Nach 4 Wochen leicht erwärmen, abseihen, in Braunglasflaschen füllen, in einem Jahr aufbrauchen.

Als vorbeugendes Grippemittel ist dieser aromatische, alkoholfreie Auszug auch heute zu empfehlen: in der kalten Jahreszeit morgens und abends zwei Teelöffel in etwas warmem Honigwasser auflösen und schluckweise trinken. Hilft bei Grippesymptomen, Kopfschmerzen, Durchfall, auch mehrmals täglich eingenommen. Verdünnt ist er auch für Kinder und ältere Menschen geeignet Äußerlich verwendet wirkt der „Spitzbubenessig“, wie er auch genannt wird, desinfizierend und reinigend, gegen Übelkeit und Müdigkeit und als exzellentes Gurgelwasser bei Zahnfleischbluten, Aphten und Halsschmerzen.

Der Rosmarin in der modernen Phytotherapie

Als heilsame Teile gelten in der heutigen Pflanzenheilkunde die Blätter, die Knospen, die blühenden Sprosse und das ätherische Öl des Rosmarins. Seine rhythmisch angeordneten, aromatischen Blätter enthalten neben dem terpenreichen, ätherischen Öl auch Flavonoide, Phenolsäuren, Gerbstoffe, Bitterstoffe, Saponine, Ascorbinsäure. Als Extrakte werden Tinkturen, Sirupe, Gemmomazerate, Ölmazerate und Trockenextrakte hergestellt, und die Droge (Rosmarini foliae) gibt es getrocknet als Tee zur inneren und äußeren Anwendung.

Bei der Dampfdestillierung der blühenden Sprossspitzen erhält man das reine ätherische Rosmarinöl. Als Nebenprodukt entsteht Rosmarinhydrolat, also destilliertes Wasser, das wirksame Substanzen in hoher Verdünnung und etwas ätherisches Öl enthält. Es ist ein herrlich erfrischendes Kosmetikum für Haut und Haar und macht als Spray im Sommer putzmunter.

Rosmarintee ist für besonders für Menschen in der Lebensmitte geeignet, die morgens schlecht aus dem Bett kommen, über schmerzende Beine und Rücken klagen, nicht gut verdauen und öfters Kopfschmerzen haben. Dahinter können funktionelle Leber-, Gallen- und Magenbeschwerden stecken, die auf Stress, schlechte Ernährung, chronische Entzündungen und unzureichender Bewegung zurückzuführen sind. Zum Aufwachen wirkt der heiße Rosmarin-Infus morgens besser als schwarzer Kaffee oder Tee, er regt den Kreislauf und das Lymphsystem an, stärkt die Nerven und öffnet unsere Sinne für die Außenwelt. Für eine große Tasse Tee brüht man einen Esslöffel getrocknete Rosmarinblätter mit 300 ml kochendem Wasser auf und lässt 10 Minuten ziehen.

Um die anregende Wirkung zu unterstützen, massiert man Beine und Arme mit Rosmarinhydrolat oder – besonders im Winter – mit duftendem Rosmarinöl, das man leicht selbst herstellen kann: 30 Tropfen ätherisches Rosmarinöl werden mit 100 ml warmem Sesamöl oder Mandelöl vermischt und gut verschüttelt. Der wärmende, anregende Effekt des Krautes lässt nicht auf sich warten, man fühlt sich gleich viel „aufrechter“.

Der Rosmarin stellt uns in schwierigen Zeiten wieder auf die Beine, und in der anthroposophischen Medizin gilt er als Heilmittel, das das Ich unterstützt, wie die strahlende, wärmende Sonne an einem Hochsommertag. Als Lippenblütler ist er eine typische Pflanze der Mitte, die zwischen Oben und Unten, Kosmos und Erde vermittelt und für das richtige Gleichgewicht zwischen Herz und Verstand sorgt. Denn diese robuste Pflanze richtet sich sowohl an das Blut, Kreislauf und Herz, als auch an das Nervensystem. Dabei spielt sicher auch der „blutreinigende“, entgiftende Effekt eine Rolle: nach der traditionellen Medizin, auch nach der traditionellen chinesischen Heilkunde, wirkt sich eine schlecht arbeitende Leber ungünstig auf das Blut und den Kreislauf aus, trübt die Sinne, macht müde und reizbar.  

Daher empfehle ich besonders im Frühjahr, wenn der Organismus aus dem „Winterschlaf“ erwacht und frische Energie benötigt, eine Rosmarinkur mit der Einnahme einer hochwertigen Rosmarintinktur, Massagen (siehe oben) und der Verwendung von getrocknetem Rosmarin anstatt Salz in der täglichen Küche. Rosmarinextrakte senden stimulierende Impulse an alle Verdauungsorgane aus, feuern den Stoffwechsel an, trocknen überschüssige Feuchtigkeit (Schleim, Katarrh, Pilzkrankheiten) aus. Bei Magenbeschwerden reicht oft eine Tasse Rosmarintee, allerdings sollte man sicher sein, nicht unter Gallensteinen zu leiden, dann wäre Rosmarin als gallentreibendes Kraut falsch am Platz.ür ältere Menschen sind kalte Füße oft ein unangenehmes Leiden. Ansteigende Fußbäder mit starkem Rosmarintee oder Armbäder regen den Kreislauf an, unterstützen die Herztätigkeit und verbessern sogar die Beweglichkeit. Rosmarinauszüge werden mit Erfolg bei Krankheiten des Bewegungsapparates, bei Arthrose, Gicht und Rheuma eingesetzt, äußerlich massiert man mit Rosmarinöl- oder Salbe.

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Wer nördlich der Alpen ein sonniges Plätzchen auf dem Balkon oder im Garten hat, kann seinen eigenen Rosmarinstrauch ziehen und frische Blättchen zum Würzen und für Tees ernten. Im Winter sollte man ihn nicht arg frieren lassen, denn als mediterrane Pflanze verträgt er Minusgrade sehr schlecht. Am besten zieht man ihn in einen großen Kübel und lässt ihn im Hauseingang überwintern.

Zum Schluss noch ein Rezept aus der römischen Küche, in der Rosmarin, wie auch seine Verwandten Oregano, Basilikum, Thymian, Majoran und Salbei nie fehlen darf.

Überbackener Fenchel mit Rosmarin

4 Fenchelknollen

1 Teetasse geriebener Parmesankäse

2 Esslöffel getrocknete Rosmarinblätter

Geriebene Schale einer Orange, etwas Muskatnuss

Schwarze Oliven, Chillyöl, Olivenöl

1 feingehackte Knoblauchzehe

Fenchelknollen vierteln, gut waschen, in wenig Salzwasser bissfest kochen. In eine Auflaufform geben, Oliven, geriebene Orangenschale, Muskatnuss, Rosmarin, Knoblauch und ein paar Tropfen Chillyöl dazugeben, mit Olivenöl beträufeln und Parmesankäse darüber streuen. Bei 180 Grad im Ofen backen, bis der Käse hellbraun brutzelt.  Passt hervorragend zu Risotto, Hühnchen oder Fisch.

Karin Mecozzi Dipl. Herboristin

*Der Artikel erscheint als “Heilpflanzenporträt” in der Juniausgabe des Ernährungsrundbriefs, Arbeitskreis für Ernährungsforschung, Bad Vilbel (D)